Vor einiger Zeit schrieb mir ein junger, indischer Mann mit einigen Fragen. Kurz gesagt, er wollte wissen, wie er, ein moderner, aufgeschlossener Inder aus der jungen Generation mit dem traditionellen Lebensstil und den veralteten Ansichten seiner Familien umgehen sollte. Ich weiß, dass das nicht nur das Problem dieses Mannes ist und so wollte ich euch meine Antworten in meinem Blog schreiben.
Der Mann beschrieb, was ich auch schon bei vielen anderen jungen Leuten gesehen habe. Sie gehen zum Studieren in die Universität, oft in eine größere Stadt, bekommen dort jede Menge der ‚modernen Welt‘ zu sehen, lesen viel und haben Zugang zu internationalen Medien, haben vielleicht Kontakt mit nicht-Indern und erfahren mehr darüber, was außerhalb Indiens so geschieht. Wenn sie in ihre kleinere Stadt oder sogar in ihr Dorf zurückkehren, sind sie andere Menschen als damals, als sie gingen. Für viele geschieht das Gleiche während sie daheim sind! Das Internet bietet heutzutage so viele Möglichkeiten, mehr über diese Welt herauszufinden, so dass man dafür eigentlich gar nicht mehr raus muss!
Also entwickeln diese jungen Menschen ihre Gedanken in eine Richtung, in die sich ihre Familie natürlich nicht bewegt. Die jungen Mädchen und Jungen haben Freunde, die genauso wie sie fortschrittlich sind und nicht an der alten Religion mit ihren vielen Grenzen und Ritualen hängen. Wenn sie daheim sind, sehen sie, wie ihre Familie all dem folgt und sie erkennen, dass ihre engen Verwandten, die Menschen, die sie lieben, alle höchst abergläubisch sind. Dass sie an das Kastensystem glauben, etwas, das sie selbst nun stark ablehnen. Sie befolgen all die schlechten Traditionen zum Umgang mit Frauen, die wir hier in Indien haben.
Sie versuchen, bei sich zu Hause Argumente anzubringen, aber das ist hoffnungslos. Sie sind dort eine Minderheit und schließlich lieben sie ihre Familien, also wollen sie sie auch nicht beleidigen! Aber sie schämen sich schon ein bisschen. Sie vermeiden es, mit ihren Freunden über ihre Familie zu sprechen. Es ist ihnen schon peinlich, wenn sie nur daran denken, ihre modernen Freunde mit nach Hause zu bringen und sie ihrer Familie vorzustellen. Welchen Eindruck sie wohl von ihrer Familie, den Menschen haben werden, mit denen sie zusammenleben?
Weißt du, ich würde zuerst einmal sagen, dass du dich nicht für deine Familie schämen musst. Du bist nicht für sie und ihre Handlungen, ihren Glauben oder ihre Gedanken verantwortlich. Sag ihnen genau, was du denkst, erkläre ihnen, warum du nicht an die Dinge glaubst, an die sie glauben und auch ihren Traditionen nicht folgen möchtest. Sprich, so dass sie es wissen, auch wenn sie es nicht zu verstehen scheinen. Du musst es vielleicht auch noch ein paar Mal wiederholen und erklären, aber am Ende ist es doch deine Familie. Sie lieben dich und ihr solltet auf dieser Basis doch eine gemeinsame Grundlage haben. Seid tolerant miteinander – sie sollten dich nicht dazu zwingen, bei Zeremonien mitzumachen, die du nicht magst oder Traditionen oder Ritualen beizuwohnen, die du für falsch hältst. Doch genauso kannst du sie einfach das tun lassen, was sie tun, wenn du ihnen ja schon gesagt hast, dass du meinst, es sei nicht richtig. Es tut dir ja schließlich nicht weh, wenn sie beten oder fasten, oder?
Und wenn es um deine Freunde geht, so würde ich das Gleiche vorschlagen: sprich. Erzählt ihnen von deiner Familie und deinen Gefühlen. Sicher bist du nicht der Einzige! Sprich einfach darüber und lass es sie wissen. Wahre Freunde sehen dich wegen dem Glauben deiner Familie nicht anders. Im Gegenteil, sie können dich besser verstehen, weil sie nun wissen, wo du herkommst.
Es gibt jedoch einige Probleme bei unterschiedlichem Glauben, die man nicht einfach so tolerieren und ignorieren kann. Manchmal ist da eine Grenze, wenn ein Glaube oder eine Tradition dich oder deine Freunde wirklich beleidigt oder euch schadet. Das ist jedoch ein anderes Thema und morgen möchte ich mehr darüber schreiben.