
Gestern habe ich über die finanziellen Erwartungen geschrieben, die ältere Menschen an ihre Kinder haben oder vielleicht auch nicht haben. Wie ich bereits erwähnt habe, gibt es auch emotionale Erwartungen und da gibt es auch wieder einen großen Unterschied zwischen alten Menschen im Westen und alten Menschen hier in Indien.
Ich habe euch bereits gesagt, dass es in Indien für alte Menschen normal ist, bei ihren Kindern zu wohnen und die Kinder empfinden es nicht als Druck von ihren Eltern, wenn diese erwarten, dass sie sich um sie kümmern. Sie leben zusammen und die Kinder kochen einfach für ein oder zwei Leute mehr. Im Westen sieht das System vor, dass sie sich selbst um ihre Zukunft kümmern. Sie sind meistens finanziell unabhängig. Sie kümmern sich um sich selbst, doch das bedeutet auch, dass sie normalerweise alleine wohnen. Sie leben so lange wie möglich in ihrer eigenen Wohnung oder ihrem Haus und dann, wenn sie körperlich oder geistig einfach nicht mehr in der Lage dazu sind, ziehen sie für den Rest ihres Lebens in ein Altersheim.
Das ist ein Aspekt der Kultur des Westens, den ich nie verstehen und nie gutheißen werde. Ich glaube, dass jemand, der siebzig oder achtzig Jahre seines Lebens mit Freunden und Familie verbracht hat und sich immer mit anderen getroffen hat, zusammen gesessen war und mit anderen gelacht hat, nicht gerne den Rest seines Lebens unter Fremden verbringen würde. Er mag vielleicht das Geld haben, um für sich selbst du zahlen und das Altersheim zu bezahlen. Er mag unabhängig sein. Aber ist er glücklich? Wer wird für ihn da sein, wenn er diese Welt verlässt? Wird das Altersheim an dem Tag das älteste Kind anrufen und das war’s dann?
Ich weiß, dass dieser Gedanke nicht nur mich schmerzt, sondern auch die Kinder, die oft gemeinsam mit den Eltern die Entscheidung treffen, dass ihre Mutter oder ihr Vater in ein solches Heim muss. Sie denken ‚Sie wird dort auch noch neue Freundschaften schließen‘, aber sie wissen, dass diese Freunde, die Menschen, die sie erst vor ein paar Wochen getroffen hat, niemals diejenigen ersetzen können, die das ganze Leben mit ihr zusammen waren.
Doch in Wirklichkeit hat diese Person bereits die letzten zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahre alleine verbracht. Kinder ziehen aus, wenn sie ungefähr zwanzig sind und dann sind die Eltern alleine. Sie mögen in dem Alter ja noch flexibel sein und sich aktiv mit anderen treffen. Wenn sie jedoch älter werden, wird das immer weniger und die Leute werden immer einsamer. Es ist das System und der Gedanke an Unabhängigkeit und Freiheit, die zu einer emotionalen Trennung geführt und die Leute einsam gemacht haben. Da versagt das System des Westens – es rechnet mit Geld und in der Gleichung bleibt kein Platz für Emotionen.
Das hat im Endeffekt auch dazu geführt, dass Altersheime entstanden sind. Sie tun dort ihr Bestes, um für die alten Menschen einen schönen Ort zu schaffen, doch sie können niemals eine wahre Familie ersetzen. Um die Wahrheit zu sagen, könnte es auch sein, dass einige alte Menschen dort glücklicher sind, unter anderen, wo es zumindest ein paar weitere Menschen gibt und etwas los ist. In ihrer eigenen Wohnung, alleine, gibt es nur einen Fernseher und ein Radio. Kinder kommen einmal an Weihnachten und vielleicht noch einmal am Geburtstag. Davon abgesehen ist da nicht mehr viel von der Beziehung übrig. Du weißt, dass sie kommen werden, um deine Beerdigung zu organisieren und dann das Geld zu verteilen, das du ihnen hinterlassen hast.
Die Leute meinen, dass sie keine andere Möglichkeit haben und vielleicht stimmt das auch mit ihrer Lebensart und ihrem Denken, obwohl es ihnen wehtut. Aber ich denke, wenn du es wirklich willst, kannst du dich selbst und deine Eltern auf das Zusammenleben vorbereiten. Die Person, die dich aufgezogen hat und Zeit damit verbracht hat, für dich da zu sein und bei dir zu sein, wird völlig allein sein, wenn einmal ihr oder sein Partner nicht mehr ist. Wie verbringt deine Mutter oder dein Vater denn dann die 24 Stunden des Tages? Niemand ist gerne allein. Das ist die Natur des Menschen und darum brauchen wir Freunde und Familie. Es ist nun die Zeit, in der sie dich brauchen, einfach nur das Zusammensein brauchen.
Das ist das Übliche in Indien – man lebt in einer Familie zusammen und kümmert sich um die Älteren, genauso wie man sich um die Jüngeren kümmert. Ich weiß, dass es hier in Indien auch viele schwarze Schafe gibt, die nicht so liebevoll sind. Sie wollen sich nicht um ihre Eltern kümmern und werfen sie aus ihrem Haus, wenn sie alt werden. Die Gesellschaft heißt ihre Handlungen jedoch nicht gut. Man kann diese alten Menschen am Straßenrand sehen, beim Betteln, oder in Tempeln, wo sie singen, um sich ein bisschen Essen zu verdienen. Eines Tages werden sie sterben, alleine und unter Fremden.
Es gibt jedoch viel mehr Familien, in denen alte Menschen einfach dazugehören. Sie sind ein Teil der Familie und des Hauses. Ich sehe, wie großartig es für meine Großmutter ist, hier bei uns zu sein. Sie ist hier, seit ihr Ehemann gestorben ist und wann auch immer sie uns verlassen wird, wird sie von denen umgeben sein, sie sie liebt. Das ist ein Teil der indischen Kultur, den ich wirklich von ganzem Herzen liebe.
Ich habe das westliche System und die Probleme, die daher stammen, gesehen. Ich sehe auch, dass es in Indien viele Leute gibt, die auch in diesem Bereich den Westen imitieren, obwohl dieses System versagt hat und so viele Probleme und emotionale Trennung in Familien gebracht hat. Ich hoffe und vertraue jedoch, dass die Leute auf der ganzen Welt zu ihren Wurzeln zurückkehren und der Natur des Menschen folgen. Der Mensch braucht die Gemeinschaft und ich glaube, dass Generationen wieder in Frieden miteinander leben werden. Das ist es, was wir einen Ashram nennen, einen Ort, an dem man zusammen lebt, teilt und an dem trotzdem jeder frei ist, er selbst zu sein.