
Gestern habe ich kurz erwähnt, dass wir nach dem Tod meiner Mutter keine der Rituale durchgeführt haben, die Hindus normalerweise als notwendig ansehen. Da wir uns selbst nicht mehr als Hindus fühlen und nicht daran glauben, dass solche Traditionen irgendeinen Nutzen haben könnten, ließen wir das alles aus und verbrachten die Tage damit, auf unsere eigene Weise zu trauern. Manche Menschen fragten uns jedoch nach der Feuerbestattung und auch, nach welcher Religion wir denn die letzten Riten für unsere Mutter durchgeführt hätten, also dachte ich, ich erzähle euch ein bisschen von all den Dingen, die wir nach Meinung der Leute hätten tun sollen und nicht getan haben.
Es began eigentlich bereits am Morgen des 10. Dezember. Ammaji war erst seit einigen wenigen Stunden nicht mehr unter uns und ihr Körper lag in der Eingangshalle des Ashrams. Der Tag hatte begonnen und den Mitgliedern der Ashramfamilie, die in einer Art Totenwache seit etwa drei Uhr in der Halle gesessen waren, schlossen sich nun langsam Menschen von außerhalb an, die davon erfahren hatten und gekommen waren, um sich noch einmal zu verabscheiden, ihr Beileid auszusprechen oder mit dem zu helfen, was getan werden musste.
Wir hatten bereits beschlossen, was wir tun würden und hatten arrangiert, dass das Holz rechtzeitig am Verbrennungsplatz ankommen würde und die Teile der Totenbahre zum Ashram gebracht würden. Einige der Männer, die gekommen waren, wussten, wie man die Bahre bindet und bereiteten diese vor, während die Frauen Ammajis Körper vorbereiteten.
Wenn man einen Roman lesen und an diesem Punkt angelangen würde, an dem in einer Hindu Familie die Vorbereitungen fur die Verbrennung eines geliebten Menschen getroffen werden, so würde der Autor beschreiben, wie die Familie einen Priester kommen lässt, wie der Priester Anweisungen für bestimmte Rituale vor dem Verlassen des Hauses und zur Vorbereitung des Leichnams gibt. Auch am Verbrennungsplatz läuft alles nach den Anweisungen eines Priesters ab, was ziemlich ins Detail gehen kann und ich bin mir sicher, jeder Autor würde das gerne in dramatische Worten beschreiben.
Wir haben das alles nicht getan und so war es recht einfach gehalten. Einige derjenigen, die gekommen waren, konnten jedoch nicht umhin, uns nach einigen Einzelheiten zu fragen. Die Frauen zum Beispiel, die Ammaji’s Körper vorbereiteten fragten nach vielen verschiedenen Dingen, da man an einer Frau üblicherweise alle Zeichen einer verheirateten Frau sichtbar macht, wenn sie gestorben ist – sie machen Make-up, färben ihren Scheitel, bemalen ihre Hände mit Henna-Farbe, legen neue Armreifen an und lackieren ihr sogar die Nägel! Als solche Fragen aufkamen, sagten wir, dass wir von all diesen Dingen nichts im Haus hatten und was auch immer getan war, sollte genügend. Ein neuer Sari, ein gutes Tuch darüber – es war genug und alles, was man sonst noch hätte tun können, hätte nichts an der Tatsache verändert, dass es nur noch ihr Körper war. Wir brachten diesen daraufhin hinunter zum Yamuna.
Die letzten Riten für meine Mutter waren ein Familien-Ereignis, kein religiöses Ereignis. Anders als normalerweise üblich waren auch meine Frau und Tochter mitgekommen, so dass sie sich auch ein letztes Mal verabschieden konnten. Wir drei Brüder führten die Verbrennung ohne Priester, Rituale oder Drama durch. Die Männer der Familie rasieren sich normal kurz vor der Zeremonie alle Bart und Haare ab, aber auch das machten wir nicht. Daraufhin folgt normalerweise eine große Zeremonie, die sich um das Entzünden des Feuers dreht und die Gebete, die man dabei sagen soll. Wir dachten einfach nur mit viel Liebe an unsere Mutter, das war genug.
Wenn der Körper und das ganze Holz komplett verbrannt ist, werden die letzten Flammen üblicherweise mit Wasser aus dem Fluss ausgelöscht. Die Yamuna fließt um Vrindavan und gilt als heilig, was die Leute natürlich normalerweise freut, weil sie für ihr Ritual dann heiliges Wasser verwenden können. Eine religiöse Person, die bei der Verbrennung anwesend war, sagte mir, ich solle Wasser aus dem Yamuna nehmen und es über die übrigen Flammen gießen. Ich antwortete, dass das dort nicht der Yamuna war, sondern Abwasser, das ich mit den Händen nicht berühren würde! Stattdessen nahm ich die Flasche Mineralwasser, aus der ich getrunken hatte – noch etwas, was man bei einer Verbrennung normalerweise nicht macht – und goss sie über die Asche. Andere Leute haben das Wasser des Yamuna verwendet und am Ende gaben wir den letzten Rest der Asche in den Fluss.
Mehrere Leute fragten uns, wann wir bestimmte Rituale machen würden und wir sagten ihnen, dass wir sie gar nicht machen würden. Viele wussten sehr gut, dass wir keiner Religion angehören, gaben aber trotzdem ihren Rat, welche Zeremonien wir machen sollten. Vielleicht war es in den Augen der anwesenden religiösen Leute eine unheilige Veranstaltung. Sie sagen vielleicht sogar, dass wir respektlos mit alten Traditionen und Bräuchen umgegangen sind. Uns jedoch ist es egal, was sie denken. Unsere Mutter ist gestorben und nichts bringt sie zurück, kein Ritual, keine Zeremonie, kein Make-up, keine Rasur und auch kein Priester.
Als meine Mutter noch lebte, gab sie den Schulkindern und den Ashramkindern täglich zu Essen. Als sie uns verließ, machten wir die Schule für zwei Tage in ihrem Gedenken zu. Nun ist die Schule wieder offen und die beste Art, wie wir unserer Mutter mit Respekt gedenken können ist, dass wir diesen Kindern weiter zu Essen geben.
Armen Kindern zu helfen ist unsere einzige Religion.