Auf meinen Reisen im Jahr 2004 und auch zuvor, habe ich die Leute immer offen eingeladen, in den Ashram zu kommen und uns in Indien zu besuchen. Ich habe ihnen von meinem Land, meiner Stadt und meiner Familie erzählt und immer gesagt, dass ich dort gerne neue Freunde willkommen heiße. So haben die Leute langsam von unserem Ashram erfahren und hin und wieder kam auch jemand auf einer Indien-Reise in Vrindavan bei uns vorbei. Im Herbst oder Winter 2004 kam ein Yogalehrer aus Europa, in dessen Yogastudio ich Vorträge und Workshops gegeben hatte. Ich erinnere mich nicht mehr genau, wann er kam, erinnere mich aber noch sehr gut an einen Vorfall, während er da war.
Er hatte sich in und um Vrindavan sehr viel angesehen und wollte unbedingt auch ein paar Sehenswürdigkeiten in Delhi besichtigen. Also bestellte Purnendu ein Taxi und gemeinsam fuhren sie nach Delhi. Purnendu zeigte ihm alle berühmten Sehenswürdigkeiten und er machte überall Fotos. Zurück im Auto holte er einen Zeitungsausschnitt heraus. Es war eine Werbeanzeige, die er in einem Billigblatt gesehen hatte und die den Leser einlud, in Delhi eine Massage zu nehmen. Da wollte er hin. Er wollte eine Massage haben.
Purnendu sah sich das Stück Papier an. Danach warf er einen Blick auf unseren Gast und versuchte, ihm zu erklären, dass dieser Massage-Salon vielleicht nicht nur ein Massage-Salon war. Vielleicht boten sie die üblichen Dienste eines Massage-Salons an, doch es gibt auch viele illegale Geschäfte in Indien, in denen die Masseuse auch weitere Dienste anbietet, was natürlich gegen das Gesetz ist.
Unser Gast jedoch wollte dorthin und bat den Fahrer, ihn zu der Adresse zu bringen. Purnendu, der ein guter Gastgeber sein wollte und dachte, dass er vielleicht ja auch Unrecht hatte, ging mit unserem Gast in den Massage-Salon hinein. Am Empfang erkannte er jedoch bald, dass dieser Laden sein Angebot genau nach der Nachfrage des Kunden richtete. Der europäische Yogalehrer fragte, wie viel eine Massage denn kosten würde und der Mann am Empfang gab ihm eine genaue Antwort. Es waren unterschiedliche Angebote und sie kosteten je nach Inhalt. Eine halbe Stunde war billiger als eine ganze Stunde. Und wenn die Masseuse ihre Arbeit völlig bekleidet machen sollte, würde es weniger kosten als ohne Kleidung.
Diese Information bestätigte Purnendus Zweifel und er wollte sich gerade schon zum Gehen wenden, als er zu seiner Überraschung merkte, dass die Begeisterung unseres Gastes in keinster Weise nachgelassen hatte. Im Gegenteil, er bestellte die teuerste Version – und ließ den bestürzten Purnendu im Empfangsraum zurück. Was war da gerade geschehen? Er war doch Yogalehrer! Das war Prostitution! Das war illegal und dieser Laden ganz sicher kein guter Ort!
Purnendu tat das Beste, was er hätte tun können: er ging. Man liest in Zeitungen immer wieder über Polizeidurchsuchungen an solchen Orten und wenn man dort gefunden wird, hat man ein Problem. Niemand wird glauben, dass man einfach nur da saß und ‚auf einen Freund wartete‘. Nein, er hatte solche Probleme nicht nötig und wollte keine Minute länger dort bleiben. Er fuhr davon und kam direkt nach Hause nach Vrindavan.
Naja, ihr könnt euch vorstellen, dass unser Gast nicht allzu glücklich war, als er aus seiner ‘Massage’ kam und keinen Purnendu und kein Taxi sah! Irgendwie jedoch fand er seinen Weg nach Vrindavan. Er beschwerte sich, aber wir erklärten ihm gleich, dass das nichts war, was wir unterstützten. Nach diesem Vorfall blieb er nicht mehr lange bei uns.
Der Eindruck, den er hinterließ, war einer von allgemeiner Überraschung über sein Verhalten. Das ist nicht etwas, was wir von einem Yogalehrer erwartet hatten, der mit dem Wunsch nach Indien kam, die Kultur und das Land zu erkunden. Er hatte offensichtlich den Wunsch, auch die Frauen zu erkunden!
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