Heute möchte ich gerne über einen Vorfall schreiben, der sich vor Kurzem hier ereignet hat und der wieder einmal zeigt, wie tief das Kastensystem in der indischen Gesellschaft verankert ist. Leider ist es immer noch sehr präsent und selbst das Konzept, dass einige Menschen ‚unberührbar‘ sein können ist auch in den Köpfen vieler Menschen noch ganz normal!
Vor ein paar Wochen saß ich auf unserem Sofa und unterhielt mich mit dem Mann, der die Schultoiletten putzt. Er hatte gerade seine Nichte in unserer Schule eingeschrieben und ich sprach mit ihm über das Mädchen.
Während wir uns noch unterhielten, kam ein weiterer Mann in die Haupthalle des Ashrams. Er war ein Ladenbesitzer aus der Stadt, der gekommen war, um etwas auszuliefern. Mein Gesprächspartner stand auf und ging und so wendete ich mich zu dem Neuankömmling. Ich bat ihn, sich hinzusetzen und wollte gerade Yashendu holen gehen, damit er sich darum kümmern würde, als der Mann sich zu mir herlehnte und mir mit halblauter Stimme sagte, als wäre es wichtige, halb-geheime Information: ‚Das wusstest du sicher nicht, aber er‘ und dabei deutete er auf unseren Mitarbeiter ‚ist aus der niedrigsten Kaste!‘
Ich weiß genau, dass er erwartet hatte, mich geschockt zu sehen. Vielleicht sogar angeekelt, da ich mit diesem Mann auf einer Couch gesessen war, Seite an Seite, wie ich es auch mit ihm tun würde. Natürlich reagierte ich nicht so! Ich wusste genau, mit wem ich geredet hatte und es war mir herzlich egal, aus welcher Kaste er kam!
‘Oh, er?’ antwortete ich. ‚Er arbeitet jetzt schon seit Jahren hier, er ist sehr nett!‘ Und mit diesen Worten ging ich schließlich davon, um Yashendu zu holen.
Nun war es an der Reihe unseres Besuchers, schockiert zu sein! Ich konnte sehen, wie schwierig für ihn die Erkenntnis war, dass ich genau wusste, dass diese Person in seinen Augen ‚unberührbar‘ war und dass ich trotzdem neben ihm gesessen war.
Leider ist eine solche Reaktion hier nicht unüblich. Leider hätten sich die meisten Menschen nicht neben diesen Mann auf ein Sofa gesetzt, wenn sie gewusst hätten, aus welcher Familie er ist und welche Arbeit er machte. Leider hätte dieser Mann es in anderen Häusern, in denen er Toiletten saubermacht, nicht gewagt, sich auf einen Stuhl oder eine Couch zu setzen, um ein Gespräch zu führen. Er wäre nicht dazu aufgefordert worden und es wäre definitiv nicht gerne gesehen.
Ramona erzählt das regelmäßig Gästen, die den Ashram und die Schule besuchen. Alle sind schockiert, wenn sie hören, dass es immer noch so üblich ist, dass ein Mensch den anderen als ‚Unberührbar‘ ansieht. Dieser Vorfall jedoch macht es wieder einmal so deutlich, dass wir mehr Orte wie unsere Schule brauchen, wo alle, egal welcher Kaste sie angehören, zusammen essen und wo wir den Kindern beibringen, dass jeder Mensch dem anderen gleichwertig ist!