Beim Schreiben über indische Gewohnheiten ist mir noch eine weitere eingefallen: die große Formalität, andere Leute zur dir nach Hause einzuladen.
Immer, wenn man jemanden trifft, den man kennt, sei das auf einer Hochzeit, einer anderen Feier oder einfach nur auf der Straße, und fragt man einander wie es geht und gibt auf diese Frage Antwort. Daraufhin wechselt man einige Worte übers Geschäft oder gemeinsame Freunde oder den Anlass, bei dem man sich da gerade trifft. Schließlich, wenn man einander nichts mehr zu sagen hat, trennt man sich, aber nicht ohne dem anderen die obligatorische Einladung auszusprechen: ‚Oh, aber ihr müsst uns bald mal zu Hause besuchen kommen!‘ und die noch bessere Antwort: ‚Natürlich, ja, das mache ich!‘
Das Lustige ist dabei, dass beide Seiten genau wissen, dass der Antwortende nie wirklich bei dem anderen zu Hause auftauchen wird. In Wahrheit wusste der Fragesteller das bereits, als er die Einladung aussprach. Sie wussten beide, dass die Frage kommen würde, sie kannten beide die Antwort und sie wussten beide, dass trotzdem nie einer den anderen besuchen würde.
Doch manchmal ist der andere sich dessen vielleicht doch nicht so ganz bewusst. Ich habe da eine kleine Geschichte für euch. Ich kannte einen Mann, der das Gleiche tat, was ich vor vielen Jahren einmal machte – er war ein Guru. Er hatte eine Bekanntschaft, einen Mann aus seiner Heimatsstadt, der nach Amerika umgezogen war. Einmal kam dieser Mann zu Besuch und als er sich verabschiedete, sagte er ‚Du solltest auch mal nach Amerika kommen! Das wäre toll!‘
Als der Guru ein paar Monate später das Gefühl hatte, dass er wirklich gerne einmal nach Amerika gehen würde, ging er zu der nächsten US-Botschaft und stellte sich dort an, wie es früher noch üblich war. Nachdem mehreren Stunden Wartezeit war er schließlich an der Reihe, ging rein und stellte seinen Visumsantrag. Natürlich wurde dieser abgelehnt, aber sie waren nett genug ihm zu erklären, dass das so nicht funktionieren würde, dass er einen Sponsor brauchte, jemanden, der ihn offiziell einlud, für seine finanzielle Sicherheit bürgte und so weiter.
Der Mann dachte, das sollte kein Problem sein, schließlich war er ja auch eingeladen worden. Also rief er den indischen Mann in Amerika an und erzählte ihm, was er brauchte, um nach Amerika zu kommen. Dieser Mann war jedoch sehr überrascht: ‚Ich sagte das doch nur aus Höflichkeit! Ich wollte dich nie wirklich einladen! Das war nur eine Formalität!‘
Ich muss immer lachen, wenn ich solche Geschichten zu den Folgen beliebter Formalitäten höre! Trotzdem kann man deutlich sehen, wo diese Formalität herkommt: Inder lieben es, Gäste zu haben und auch Gäste zu sein! Gastfreundschaft liegt ihnen im Blut und so laden sie sogar Leute zu sich nach Hause ein, die sie nicht wirklich kennen, auf eine Mahlzeit, etwas Tee und ein schönes Zusammensein! In vielen Fällen bleibt es eine Formalität – aber es gibt auch Fälle, in denen diese Formalität der Beginn einer tieferen Beziehung ist.